Fachtagung „Sexuelle Gewalt an Kindern“ traf auf große Resonanz
Gastreferent Bernd Christmann (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) zeigte sich sichtlich beeindruckt, bei der Fachtagung „Sexuelle Gewalt an Kindern“ am Mittwoch 7. März 2018, in der vollbesetzten Stadthalle Soest auf ein Auditorium von immerhin 400 beruflich mit dem Thema verbundenen Interessierten zu treffen. „Diese große Resonanz ist ein Beleg dafür, dass im Kreis Soest bereits ein Netzwerk existiert, das sich der Problematik annimmt“, lobte der Wissenschaftler.
Das funktionierende Netzwerk wurde bei einer Podiumsdiskussion „Gemeinsam gegen sexuelle Gewalt und für den Schutz von Kindern“ unter Moderation von Hans Meyer, Vorsitzender des Kinderschutzbund-Kreisverbandes, greifbar. Aus ihrer Arbeit berichteten Dr. med. Ingeborg Voß-Heine, Frauenärztin in Werl, Psychologin Sarah Lienesch, Fachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Soest, Wolfgang Faber, Kreis-Caritas-Beratungsstelle für Eltern, Jugendliche und Kinder, Maria Mues, beim Jugendamt der Stadt Soest für anonyme Beratung im Kinderschutz zuständig, Kriminalhauptkommissarin Christina Müller, Fachfrau für Sexualdelikte in der Kreispolizeibehörde Soest, und Gudrun Hengst, Leiterin des Kreisjugendamts. Die Experten machten das Spannungsfeld zwischen dem Anspruch nach Strafverfolgung und dem Wunsch, betroffene Kinder zu schützen und zu stabilisieren, deutlich. „Leider werden oft nur läppische Strafmaße verhängt, die einer lebenslangen Traumatisierung nicht gerecht werden“, kritisierte Gudrun Hengst. Dagegen betonte Kriminalhauptkommissarin Christina Müller, dass jede Strafanzeige weiteren Kindern Leid ersparen könne. Gynäkologin Dr. med. Ingeborg Voß-Heine wies allerdings darauf hin, dass in 90 Prozent der Fälle keine Beweise für sexuelle Gewalt zu finden seien.
Alle zogen eine positive Bilanz des 2012 in Kraft getretenen Bundeskinderschutzgesetzes. „Im Ergebnis steht kein Kind mehr vor verschlossenen Türen, wenn es Hilfe braucht“, brachte es Psychologin Sarah Lienesch auf den Punkt. Der Blick auf die Prävention sei gestärkt worden, begrüßte Maria Mues vom Soester Jugendamt. Wolfgang Faber von der Kreis-Caritas-Beratungsstelle sieht eine „erfolgreiche Sensibilisierung und Strukturierung der Abläufe“.
Die Forderung, Sensibilität für die Problematik zu entwickeln, stand auch am Anfang der Veranstaltung, zu der das Kreisjugendamt sowie die Stadtjugendämter Soest und Warstein in Zusammenarbeit mit dem Kreisverband Soest des Kinderschutzbundes eingeladen hatten. „Wir müssen hinsehen, zuhören und achtsam sein“, betonte Maria Schulte-Kellinghaus, Kreis-Dezernentin für Jugend, Schule und Gesundheit. Kinderschutzbund-Vorsitzender Hans Meyer drückte es so aus: „Kindern muss Gehör geschenkt und ihnen muss geglaubt werden. Die Unkultur des Schweigens muss überwunden werden.“
Bettina Weidinger, Leiterin des sexualpädagogischen Lehrganges am Österreichischen Institut für Sexualpädagogik (ISP) in Wien, formulierte in ihrem Vortrag „Kindliche sexuelle Entwicklung“ den Satz „Ich denke, also bin ich“ des Philosophen René Descartes in „Ich spüre mich, also bin ich“ um. Sie verdeutlichte so, wie wesentlich für Kinder die Entwicklung einer eigenen Körperwahrnehmung ist. „Kinder wissen oft nicht, dass sie Gewalt erleben und erkennen erst später die Folgen“, fasste sie zusammen. Bernd Christmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand in der Arbeitsgruppe „Pädagogische Professionalität gegen sexuelle Gewalt“ an der Uni Münster. Er stellte unter der Überschrift „Grenzen erkennen – Fachlicher Umgang mit auffälligem oder übergriffigem Sexualverhalten bei Kindern“ die unterschiedlichen Facetten des Begriffs „Normal“ im Zusammenhang mit kindlicher Sexualität vor. Mit Praxisbeispielen zeigte er auf, wie sehr gesellschaftliche Normen und familiäre Regeln in eine Bewertung einfließen. „Sexuelles Erkunden unter Kindern erfolgt in der Regel einvernehmlich und gehört zur Gesamtentwicklung von Kindern dazu“, lautete sein Fazit.
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