Erste Stolpersteine in Lippstadt verlegt

Schülerinnen und Schüler des Evangelischen Gymnasiums hatten die Geschichten der Familien Levy und Grüneberg aufgearbeitet und trugen sie im Rahmen der Veranstaltung – teils auf Englisch – vor. Foto: Stadt Lippstadt

Messingtafeln erinnern an Schicksale der Familien Levy und Grüneberg

Mit dem Projekt Stolpersteine macht der Künstler Gunter Demnig seit 1996 auf das Schicksal der Menschen aufmerksam, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Die kleinen Messingtafeln im Straßenpflaster, auf denen Name, Lebensdaten und das erlebte Schicksal zu lesen sind, werden im Straßenpflaster am letzten selbstgewählten Wohnstandort der Opfer verlegt. Am 17. Dezember hat der Künstler in Lippstadt die ersten Stolpersteine verlegt.

Gunter Demnig bei der Verlegung der Stolpersteine für die Familie Grüneberg. Foto: Stadt Lippstadt

Es sind die Häuser Cappelstraße 19 und Woldemei 8, vor denen die acht kleinen, aber unübersehbaren Messingtafeln jetzt an die Familien erinnern, die dort einst zu Hause waren. In der Cappelstraße 19 waren es Ludwig Levy, Ursula Levy, Georg Levy, Max Levy und Lucia Levy. Die Familie unterhielt dort einen Laden für Stoffmanufaktur. Ihr späterer Lebensweg sollte durch Flucht, Deportation und Schutzhaft gezeichnet sein. In der Woldemei 8 waren Dr. Max Grüneberg, Dina Grüneberg und Louise Grüneberg zu Hause. Auch ihr späterer Lebensweg war durch Demütigung, Entrechtung und Deportation bestimmt.

Die mehr als 100 Gäste, die sich zur Verlegung der Stolpersteine eingefunden hatten, erlebten eine würdevolle und beeindruckende Veranstaltung. Maßgeblich trugen dazu auch die Schülerinnen und Schüler des Evangelischen Gymnasiums bei, die sich unter Federführung der Lehrerinnen Beate Tietze-Feldkamp und Regine Richert ausführlich mit den Lebensgeschichten der Familien befasst hatten und die Lebens- und Leidenswege in eindrucksvoller Weise vortrugen. Mit George Levy, der als 8-Jähriger mit seiner Schwester Ursula aus Deutschland fliehen musste und heute 91-jährig in Chicago lebt, hatten die Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Vorbereitung gar per Videochat Kontakt.

Schülerinnen und Schüler des Evangelischen Gymnasiums hatten die Geschichten der Familien Levy und Grüneberg aufgearbeitet und trugen sie im Rahmen der Veranstaltung – teils auf Englisch – vor. Foto: Stadt Lippstadt

Der Einladung der Stadt Lippstadt, zur Verlegung der Stolpersteine anzureisen, konnte George Levy nicht folgen, dafür konnte der stellvertretende Bürgermeister Franz Gausemeier seine Tochter Lucy Mueller Wiesemann und ihren Mann Joe begrüßen, die ergriffen den teils in englischer Sprache vorgetragenen Texten folgten. Stimmungsvoll begleitet wurde die Verlegung der Stolpersteine von dem Bonner Musiker Florian Stadler mit dem Akkordeon.

Franz Gausemeier erinnerte eindringlich daran, dass es Aufgabe der heutigen Generationen sei, die Erinnerungen an die Gräuel der NS-Zeit wach zu halten. „Wir müssen mahnen und erinnern“, gab er allen Anwesenden mit auf den Weg. Die Stolpersteine seien „ein kleiner Punkt gegen das Vergessen“.

Künstler Gunter Demnig, Joe Wiesemann, Lucy Mueller Wiesemann und Franz Gausemeier nach der Verlegung der Stolpersteine für die Familien Levy und Grüneberg. Foto: Stadt Lippstadt

Mehr als 85.000 Stolpersteine in 27 Ländern hat Gunter Demnig seit Beginn des Projektes Mitte der 90er Jahre verlegt. Und das Interesse daran ist ungebrochen, wie der 74-jährige Künstler bereits am Abend vor der Verlegung der Stolpersteine in einem Vortrag zur Geschichte des Projektes dargestellt hatte. Verstärkt kämen mittlerweile auch Angehörige auf ihn zu, die ihre Familiengeschichte aufarbeiteten. Aufgrund der großen Nachfrage kann das Team um Gunter Demnig erst ab September 2022 weitere Termine zur Verlegung von Stolpersteinen anbieten, heißt es auf der Internetseite des Projektes.

Das liegt nicht zuletzt an der Art und Weise wie der Künstler und sein Team das Projekt umsetzen. Jeder Buchstabe wird per Hand in die Messingoberfläche des Steins eingeschlagen. Die Steine werden von Gunter Demnig im Regelfall selbst verlegt. „Eine Massenproduktion in einer Fabrik kommt nicht in Frage“, hatte Demnig in seinem Vortrag klar formuliert. „Auschwitz ist auch eine Fabrik gewesen“, so Demnig weiter. Den Massenmorden der Nationalsozialisten wolle er mit dem gewählten Konzept bewusst etwas entgegensetzen. Auch die Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit den Schicksalen der Familien ist für Gunter Demnig ein wichtiger Baustein seines Projektes, wie er in seinem Vortrag deutlich machte. Er erzählte von einem Schüler, der ihn mit der Antwort auf die Frage eines Journalisten, was es mit den Stolpersteinen auf sich habe, nachhaltig beeindruckt habe. Man stolpere nicht über die Steine, sondern man stolpere im Kopf und mit dem Herzen, habe der Junge geantwortet. Und das jetzt auch in Lippstadt. 

Stolpersteine für die Familie Levy vor dem Haus Cappelstraße 19. Foto: Stadt Lippstadt

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