200 Jahre Kreisgeschichte in Lippstadt und Soest – Teil 2

Kreishaus Soest seit 129 Jahren am gleichen Ort
Das Kreishaus in Soest ist der einzige Sitz einer Kreisverwaltung in Westfalen, der sich seit seiner Erbauung am gleichen Ort befindet, wenn auch immer wieder erweitert und umgebaut. Links der älteste Teil des Kreishauses an der Osthofenstraße von 1887/1888, rechts vorspringend der erste Anbau von 1904. Foto: Kreisarchiv Soest/ Foto Dülberg

Der Fortschritt hält Einzug
Serie „200 Jahre Kreisgeschichte in Lippstadt und Soest“ – Teil 2: Die Kreise werden zu Selbstverwaltungskörperschaften

1817 entstanden die Altkreise Soest und Lippstadt, die bei der kommunalen Gebietsreform 1975 zum „neuen“ Kreis Soest zusammengelegt wurden. Das Kreisarchiv Soest hat aus seinem umfangreichen Bestand Wissens- und Bemerkenswertes aus den mittlerweile zwei Jahrhunderten Kreisgeschichte zusammengestellt. Daraus ist eine sechsteilige Serie entstanden. Die zweite Folge stellt die Entwicklung der Kreise zu Selbstverwaltungskörperschaften dar.
Bei seinem Amtsantritt 1879 fand der neue Soester Landrat Florens Felix von Bockum-Dolffs die Hauptzufahrtsstraßen im (Alt-)Kreis Soest in einem kaum befahrbaren Zustand vor. Er war der Sohn von Florens Heinrich von Bockum-Dolffs, der als Vor-Vorgänger von 1838 bis 1852 das Amt des Landrats bekleidete. Der schlechte Straßenzustand lag nicht nur an fehlenden finanziellen Mitteln. Auch der Landbevölkerung fehlte jedes Verständnis für die Wichtigkeit einer guten Infrastruktur. Doch davon ließ sich Bockum-Dolffs nicht entmutigen. Er wurde zu einem großen Förderer von Wirtschaft und Verkehr und verbesserte maßgeblich die Infrastruktur.

1879 übernahm der Soester Kreistag zum ersten Mal eine Selbstverwaltungsaufgabe und beschloss, viele Gemeindewege einfach selbst zu unterhalten. 1888/89 gab der Kreis mehr als zwei Drittel seiner Finanzen für den Wegebau aus. 1918 hatte das Kreisstraßennetz im Altkreis Soest eine Gesamtlänge von 427 Kilometer erreicht. Es war damit das größte in ganz Preußen.

Im Kreis Lippstadt verlief die Entwicklung ähnlich. Zudem war Landrat Freiherr von Werthern bemüht, an den von den Gemeinden übernommenen Kreisstraßen Obstbäume zu pflanzen, was dem Kreis Lippstadt in den 1920er Jahren bei einer Obstbaumausstellung den zweiten Platz unter den westfälischen Landkreisen einbrachte.

Über die Gemeinderäte, die allen Ernstes gefordert hatten, die Wege nicht durch die Orte, sondern quer durch die Felder zu legen, damit die Bettler nicht in die Dörfer kämen, war die Zeit hinweggegangen. Und auch die weiteren Kritiker, die befürchteten, die Wege würden ja doch nur für den Herrn Landrat und seine Beamten gebaut, damit diese am Sonntag ihre Damen darauf spazieren fahren könnten, verstummten.

Doch mit den Straßen allein war es nicht getan. 1850 kam es zur Einweihung der Westfälischen Eisenbahn von Kassel nach Hamm. In Warstein tat sich Kommerzienrat Wilhelm Bergenthal mit weiteren Unternehmern aus Warstein zusammen – so entstand die „Warstein-Lippstadter Eisenbahn-Gesellschaft“ (WLE), deren Strecke 1883 eingeweiht wurde. Der Soester Kreistag gründete eine „Kleinbahnkommission“. Vor dem Bau der geplanten Kleinbahnen ließ man aber erst mal eine Wirtschaftlichkeitsberechnung durchführen. Doch da diese scheinbar günstig ausfiel, konnte 1889 die Betriebseröffnung der „Ruhr-Lippe-Kleinbahnen“ gefeiert werden. 1886 gründete sich unter Beteiligung des Kreises Lippstadt der Verein zur Schiffbarmachung der Lippe. Doch die Pläne eines Lippstädter Hafens mussten 100 Jahre später endgültig aufgegeben werden.

Außerdem galt die Aufmerksamkeit der Landräte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Entwicklung der Landwirtschaft und der Verbesserung der landwirtschaftlichen Produktion. Zwar scheiterte 1869 die Gründung einer Landwirtschaftsschule in Geseke noch knapp am Beschluss des Lippstädter Kreistages, 1891 entstand aber durch Initiative von Bockum-Dolffs die Landwirtschaftsschule in Soest. 1919 folgte dann auch Lippstadt, um nur die Landwirtschaftsschulen zu nennen, an deren Gründung die beiden Kreise maßgeblich beteiligt waren.

Die Grundlage all dieser Aktivitäten der Kreise war die 1887 in Kraft getretene Kreisordnung. Nun, erst im 70. Jahr ihres Bestehens, waren die Kreise „erwachsen“ geworden und als kommunale Gebietskörperschaften mit umfangreichen Zuständigkeiten ausgestattet. Der Kreistag unter dem Vorsitz des Landrats durfte als Vertretung der Kreiseinwohner über alle zugewiesenen Kreisangelegenheiten beschließen. Ausdruck des gewachsenen Selbstbewusstseins waren das neu erbaute Kreishaus an der Osthofenstraße in Soest und das Lippstädter Landratsamt am Lippertor, beide 1888 eingeweiht. Man wollte nicht mehr in angemieteten Räumen in Gastwirtschaften tagen: Die Abgeordneten legten Wert auf Eigenständigkeit und Repräsentation.

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