„Ohne eine Impfung aller Familienmitglieder leben wir in ständiger Angst!“

Foto Familie Dempsey

Stellungnahme des Deutschen Kinderhospizvereins zur COVID-19-Impfstrategie unter besonderer Berücksichtigung von jungen Menschen mit lebensverkürzender Erkrankung und ihrem Umfeld

„Die verbleibende gemeinsame Zeit möchten wir bestmöglich miteinander verbringen“, so lautet das wichtige Anliegen von Familie D., die durch den Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst Paderborn-Höxter begleitet und unterstützt wird. Wie Familie D. geht es auch anderen Familien mit einem lebensverkürzend erkrankten Kind. Ihr Alltag ist seit knapp einem Jahr von der Angst vor einer Infektion mit Covid-19 bestimmt. Bei Familie D. hat Sohn Marcel (21) eine lebensverkürzende Erkrankung, weshalb eine Ansteckung für ihn potenziell lebensbedrohlich ist. Eine Situation, die das Leben und das Miteinander innerhalb der Familie stark belasten. Dem dringenden Aufruf, bei der Impfstrategie des Bundesgesundheitsministeriums Berücksichtigung zu finden, folgt der Deutsche Kinderhospizverein e.V. als bundesweite Fachorganisation mit einer entsprechenden Stellungnahme.

„Wir sind Zeit seines Lebens Einschränkungen im Alltag gewohnt und haben schon viele Krisen gemeistert, aber mit Ausbruch der Pandemie wurde unser Leben nochmals auf den Kopf gestellt und wir mussten schnell neue Strategien für unseren Alltag entwickeln“, betont Manuela, Mutter von Marcel. Doch die Sorge um eine Ansteckung bleibt, denn Marcel, sowie auch alle anderen Familienmitglieder sind noch ohne Impfschutz und in der priorisierten Impfstrategie nicht vorgesehen.

Auch Marcels Bruder, der sich im Studium befindet, möchte kein Überträger sein und hält Abstand zu seinem Bruder, mit dem er sonst so gerne Zeit verbringt. Denn gemeinsame Zeit und Nähe ist kostbar für die Familie, vor dem Hintergrund von Marcels lebensverkürzender Erkrankung. „Die häusliche Isolation ist schon schlimm genug. Der Gedanke sein eigenes Kind zu gefährden und deshalb auf Abstand bleiben zu müssen, bringt uns alle an Grenzen“, beschreibt die Familie.

Solche und ähnliche Berichte von Familien erreichen den Deutschen Kinderhospizverein e.V. seit Ausbruch der Corona- Pandemie immer wieder.

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit lebensbedrohlicher oder lebensverkürzender Erkrankung haben häufig zahlreiche Vorerkrankungen und ein geschwächtes Immunsystem als Folgen ihrer Grunderkrankung. Bei einer Infektion mit COVID-19 ist in der Mehrzahl ein schwerer Verlauf zu befürchten.

Die jungen Menschen sind in den allermeisten Fällen auf Pflege durch Zugehörige, Pflegepersonal oder Assistenzkräfte angewiesen. Seit Monaten schränken sie daher ihre Kontakte auf ein absolutes Mindestmaß ein. Einzelne Elternteile oder Geschwister müssen teilweise seit letztem Jahr von ihren Familien getrennt leben, um weiterhin arbeiten oder zur Schule gehen zu können und das erkrankte Familienmitglied trotzdem zu schützen.

Es zeigt, wie dringend notwendig eine Impfung aller regelmäßigen Kontaktpersonen der jungen Menschen mit lebensverkürzender Erkrankung ist. „Alleine können wir uns als Familie kein Gehör verschaffen“, ist eine häufige Aussage der Betroffenen. Daher stellt sich der Deutsche Kinderhospizverein weiterhin an die Seite der Familien und hat gemeinsam mit ihnen eine Stellungnahme verfasst. Adressat sind die Bundesregierung und die ständige Impfkommission des Robert Koch Instituts sowie die für die Umsetzung der Impfstrategie zuständigen Behörden auf Landesebene. Im Kern werden darin folgende Erweiterungen der priorisierten Impfkategorien gefordert:

1. Die schnellstmögliche Impfung aller Pflegepersonen von jungen Menschen mit lebensverkürzender Erkrankung, da Minderjährige bisher nicht selbst geimpft werden können.

2. Auch andere enge Kontaktpersonen, die im gleichen Haushalt wie ein Kind/Jugendliche*r mit Vorerkrankungen leben oder sich regelmäßig in diesem Haushalt als Unterstützer*innen aufhalten
(z. B. Assistenzkräfte).

3. Den schnellstmöglichen Impfschutz für junge Erwachsene mit lebensbedrohenden oder lebensverkürzenden Erkrankungen.

4. Der Prozess der Impfpriorisierung muss transparent und möglichst unbürokratisch gestaltet werden, um weitere (ggf. lebensbedrohliche) Verzögerungen zu verhindern.

Aus der Perspektive der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit lebensverkürzender Erkrankung ist es von elementarer Bedeutung, dass Maßnahmen ergriffen werden, die ihnen die Möglichkeit geben, ihre verkürzte Lebenszeit bestmöglich und ohne zusätzliche Ängste vor einer Infektion verleben zu können.

Daher bittet der Deutsche Kinderhospizverein nachdrücklich darum, die geäußerten Forderungen in der Priorisierung bei der COVID-19-Impfung zu berücksichtigen, die auf Länder- und/oder kommunaler Ebene umzusetzen ist. Der Verein ist dazu im Dialog mit entsprechenden Entscheidungsträgern.

„Der Wert des Lebens bemisst sich weder am Alter noch an einer – ohnehin kaum zu prognostizierbaren – Lebensdauer. Junge Menschen, die lebensverkürzend erkrankt sind, verdienen daher wie andere gefährdete Personen unseren bestmöglichen Schutz.“, betont Marcel Globisch vom Deutschen Kinderhospizverein e.V.in Olpe.

Zum Verein: Der Deutsche Kinderhospizverein e.V. (DKHV ) wurde 1990 von betroffenen Familien gegründet. Der Verein ist Wegbereiter der Kinderhospizarbeit in Deutschland. Mit ambulanten Kinder- und Jugendhospizdiensten an 30 Standorten begleitet und unterstützt er Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit einer lebensverkürzenden Erkrankung und deren Familien.

So auch der Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst Paderborn-Höxter. Dieser Standort wurde 2006 eröffnet und begleitet Familien in ca. 50 km Umkreis – ab der Diagnose, im Leben, im Sterben und über den Tod hinaus. Aktuell unterstützt der Dienst mit seinen 53 ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen 26 Familien mit lebensverkürzend erkrankten Kindern und Jugendlichen, deren Geschwisterkinder sowie die Familien, deren Kinder bereits verstorben sind. Mit über 130 hauptamtlichen und mehr als 1.000 ehrenamtlichen Mitarbeitenden unterhält der DKHV seine zentrale Geschäftsstelle im Haus der Kinderhospizarbeit in Olpe. Unter seinem Dach bietet die Deutsche Kinderhospizakademie jährlich mehr als 50 Seminar-, Begegnungs- und Bildungsangebote für betroffene Familien, ehrenamtliche Begleiter und Interessierte an. Der Verein ist eine bundesweite Fachorganisation und vertritt als solche die Interessen zahlreicher ambulanter und stationäre Kinder- und Jugendhospizangebote mit dem Ziel die Kinder- und Jugendhospizarbeit und deren Strukturen zu stärken. Darüber hinaus thematisiert der DKHV e.V. die Lebenssituation, das Sterben und den Tod von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit einer lebensverkürzenden Erkrankung in der Öffentlichkeit.

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